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Regulierungdickicht – ein Problem?


iStock/drogatnev

Autor: 

Stefano Barbieri, Kai A. Konrad

Ein bekanntes Phänomen moderner Gesellschaften ist das wachsende Dickicht an Regulierungsvorschriften im beruflichen und privaten Alltagsleben. Während die einzelnen Regulierungen sinnvoll erscheinen mögen, ist ein Übermaß an zu strikten und zu tiefgehenden Vorschriften ein Problem. Von Fragen der freien Persönlichkeitsentfaltung ganz abgesehen, scheint dieses Geschehen Innnovationsfähigkeit und Wachstumsdynamik zu bremsen und sich damit gegen die Grundlagen für die Wohlfahrt solcher Gesellschaften zu richten.

Diese Gefahren sind allgemein bekannt und die Klagen weit verbreitet. Einige Länder haben auch Initiativen und Institutionen zum Abbau von obsoleten Regulierungsvorschriften ins Leben gerufen. Trotzdem erscheint der Trend zu mehr Regulierung als ungebrochen. Gibt es ein überzogenes Regulierungsgeschehen, oder sind Form und Ausmaß der Regulierungsaktivitäten nur das unausweichliche und notwendige Korollar einer sich immer weiter ausdifferenzierenden, immer reicheren und immer komplexeren Wirtschaft und Gesellschaft? Sind die Kosten der Regulierung einfach der Preis für eine gut funktionierende Wirtschaft und für einen hohen gesellschaftlichen Wohlstand? Oder gibt es systematische Gründe, die dafürsprechen, dass die getroffenen Regulierungsmaßnahmen in der Tendenz überzogen, zu radikal, und zu weitreichend sind?

In der spieltheoretischen Analyse mit dem Titel „Overzealous Rule Makers“ identifizieren Stefano Barbieri und Kai A. Konrad systematische Gründe, die erklären können, wenn Bürokratien Regulierungsvorschriften entwickeln, die zu zahlreich sind, und wenn diese innerhalb des Spektrums möglicher Regeln eher extreme Varianten darstellen. Wir analysieren besonders Situationen, in der sich mehrere Behörden die Zuständigkeit für die Schaffung von Regelungsvorschriften zu einem Wirtschafts- oder Lebensbereich teilen. Wie sich belegen lässt, ist dies in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens der Fall.

Zunächst sollte man denken, dass die Entscheidungsträger in Bürokratien angesichts der konkurrierenden oder überlappenden Zuständigkeit mit andere Bürokratien eher zu Bequemlichkeit neigen: Warum nicht zurücklehnen und darauf warten, dass die anderen ebenfalls verantwortlichen Behörden die Initiative zu ergreifen? Geteilte und konkurrierende Zuständigkeit könnte also zu Attentismus führen, und damit zu einem Unterregulierungsproblem. Die Situation ändert sich indes dramatisch, wenn die von den verschiedenen Behörden gewünschten Regeln sehr unterschiedlich sind. Je unterschiedlicher oder extremer die gewünschten Regeln oder Ziele, desto bedrohlicher ist für jede einzelne Behörde die Vorstellung, dass die jeweils andere Behörde zuerst die Initiative ergreift. Die einzige Möglichkeit, dem zu begegnen ist es, selbst aktiv zu werden. So kehrt sich das Problem möglichen Attentismus um: Das Problem wird zu einem Windhundrennen – jede Behörde wird eher früher als später aktiv. Sie setzt damit nicht nur eine ihr genehme Regel durch, sondern sie verhindert damit die Durchsetzung einer ihr sehr unangenehmen Regel. So kommt es, dass eine Behörde auch dann aktiv wird, wenn die eigenen Kosten des Regelmachens höher sind als die unmittelbaren Vorteile aus dem Übergang vom Status quo zu der von ihr bevorzugten Regelvariante. Die Behörde ist bereit, diese hohen Kosten aufzubringen, weil sie damit ein noch unangenehmeres Ergebnis abwenden kann: die Implementation einer ungeliebten Regel durch die andere Behörde. Das Regelmachen ist somit nicht getrieben vom Bedürfnis nach einer Verbesserung gegenüber dem Status quo. Die Behörde ist vielmehr getrieben von der Angst davor, dass eine andere Behörde handeln könnte. Angst vor unliebsamen Änderungen durch die jeweils andere Behörde kann also das Regulierungsgeschehen anheizen.

Diese, aus Sorge um das Handeln anderer getriebene Regulierungsgeschehen ist besonders relevant für Behörden, die selbst im Spektrum möglicher Regulierungsvarianten extreme Positionen einnehmen: Für sie ist es besonders unliebsam, wenn eine andere Behörde mit Regeln am anderen Ende des möglichen Spektrums von Regeln die Initiative ergreift. Eine Behörde, die vielleicht einen Regulierungsbedarf sieht, in ihren Vorstellungen und Zielen aber eine eher moderate Regel bevorzugen würde, hat im Vergleich zu solchen extremen Behörden einen deutlich geringeren Anreiz, sich an diesem Windhundrennen zu beteiligen. Vergleicht man also die Bereitschaft, Kosten für das Machen von Regeln aufzuwenden, dann sieht man: Es sind besonders die Behörden mit extremen Vorstellungen und Zielen, die aktiv werden, und die selbst dann aktiv werden, wenn der eigene Vorteil aus der von ihr gewählten Regel gegenüber dem Status quo die Kosten für das Machen dieser Regeln übersteigt.

Dieser Artikel wurde zunächst in englischer Sprache von Oxford University Law Blogpubliziert.

Veröffentlichung:   Oxford University Law Blog, 17/12/2020