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Wohlfahrtsverluste durch steuerliche Fehlanreize: Wie kann die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen reformiert werden?

Um gesellschaftliche Wohlfahrtsverluste durch steuerliche Fehlanreize zu minimieren, nimmt Research Affiliate Prof. Dr. Erik Röder, die Besteuerung von Veräußerungsgewinnen genauer unter die Lupe und stellt konkrete Reformvorschläge vor, die zugleich zu mehr Steuergerechtigkeit beitragen könnten.

Die Veranstaltungsreihe „Zukunftsfragen des Steuerrechts“ unternimmt mitunter den Versuch, auf Möglichkeiten einer verbesserten Steuergestaltung aufmerksam zu machen, die zukünftig einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert generieren könnten. Hier setzte auch der Rechtswissenschaftler Erik Röder am 8.9.2025 in seinem Vortrag an. Er unterbreitete Vorschläge für eine Weiterentwicklung des Systems der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen, die auf eine Minimierung bestehender Fehlanreize abzielen.

Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern nicht nur des Betriebs-, sondern auch des Privatvermögens werden, seit der Unternehmenssteuerreform 2008, nahezu flächendeckend besteuert. Röder stellte fest, dass sich die altbekannten Probleme, die mit der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen verbunden sind, dadurch sogar noch verschärften: Zu nennen sind hier unter anderem der sog. Lock-in-Effekt, die Besteuerung inflationärer Scheingewinne sowie die Progressionswirkung bei geballter Auflösung stiller Reserven.

Gerade der Grundsatz, dass nur realisierte Gewinne besteuert werden, führt häufig zu einer Akkumulation von Vermögenswerten – vor allem unter den Wohlhabenden – anstatt zu sinnvollen Investitionen. Da die relevanten Wirtschaftsgüter und mit ihnen die unrealisierten Gewinne oft über viele Jahre hinweg einer enormen Wertsteigerung unterliegen, ergeben sich hier zunehmend Fehlallokationen zum Zwecke der Steuerarbitrage.

Im Sinne der vertikalen Steuergerechtigkeit und mit Blick auf reale Wohlfahrtseffekte besteht hier dringender Reformbedarf. Professor Röder sieht dafür mehrere mögliche Entwicklungslinien:

Aus Sicht des Juristen sollten Gewinne aus der Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Privatvermögens grundsätzlich steuerbar sein. Zur Vereinfachung des Steuerrechts solle zudem § 17 EStG ersatzlos gestrichen werden. Mit der Überwindung des Quellenkonzepts für Kapitaleinkünfte habe die Vorschrift ihren ursprünglichen Zweck verloren.

In der konsumorientierten Besteuerung von Veräußerungsgewinnen sieht Röder einen zusätzlichen Lösungsansatz: „Mir schwebt ein System vor, in dem Veräußerungsgewinne erst dann versteuert werden müssen, wenn sie zu Konsumzwecken verwendet werden. Ein Besteuerungsaufschub bis zum Konsum würde strukturelle Schwierigkeiten abmildern.“

Zu diesem Zweck müsste der Regelungsansatz von § 6b EStG verallgemeinert werden. „Stille Reserven sollten frei zwischen verschiedenen Arten von Wirtschaftsgütern und auch frei zwischen den Einkunftsarten übertragen werden können.“ so Professor Röder. „Durch die Möglichkeit, Veräußerungsgewinne nahezu universell steuerneutral zu reinvestieren, würden der Lock-in-Effekt und die Scheingewinnbesteuerung bis zum Zeitpunkt des Konsums hinausgeschoben.“

Röder erklärt abschließend, dass die vorgestellten Maßnahmen die bereits bislang bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten in ein konsistentes System überführen würden. Sie stünden dann allen Steuerpflichtigen offen und nicht mehr nur denjenigen, die so wohlhabend sind, dass sie sich entsprechende Gestaltungen leisten könnten. 

Prof. Dr. Erik Röder ist seit Mai 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Unternehmensrecht und Unternehmenssteuerrecht an der Universität Mannheim. Zuvor war er seit 2011 als wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München tätig. Erik Röder wurde 2009 an der Universität Bayreuth promoviert und habilitierte sich 2018 an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Gesellschafts- und Unternehmenssteuerrecht, wobei sein Forschungsinteresse insbesondere nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen gilt.
 

September 2025