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Der EU-Haushalt braucht eine Generalüberholung

Der EU-Haushalt ist regelmäßig ein Stein des Anstoßes – insbesondere für jene Mitgliedstaaten, die Nettozahler sind. LSE-Professor Iain Begg lotet Möglichkeiten für ein effektiveres Finanzierungsmodell der EU aus.

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Als die Europäische Kommission im Juli ihre Vorschläge für den Finanzrahmen 2028 – 2034 vorlegte, habe „die niederländische Regierung nur eineinhalb Stunden gebraucht, um abzulehnen“, berichtete Prof. Iain Begg vom European Institute der London School of Economics and Political Science (LSE) in seinem Vortrag am 16. September in München. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Reihe „Die Zukunft des Steuer- und Sozialstaats in der Europäischen Union“ statt, die vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik sowie vom Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen organisiert wird.

Da erneut langwierige Haushaltsverhandlungen zu erwarten sind, beleuchtete Prof. Begg – ein führender Experte für die politische Ökonomie der europäischen Integration und insbesondere der EU-Finanzen – in seinem Vortrag „Rethinking the EU’s Finances: Will This Time Be Different?“ Möglichkeiten für ein effektiveres Finanzierungsmodell der EU.

Seit Ende der 1980er-Jahre liegt das Volumen des EU-Haushalts bei rund 1% des Bruttonationaleinkommens (BNE). Der größte Teil entfällt auf Landwirtschaft und Regionalförderung, während deutlich geringere Summen für andere Haushaltsposten zur Verfügung stehen. Entsprechend klaffen die Erwartungen an die EU und ihre tatsächliche Finanzkraft auseinander. Der Vorschlag der Kommission sieht nun vor, „die Union mit einem in Umfang und Ausgestaltung ehrgeizigen Haushalt“ auszustatten und das Volumen auf 1,26 % des BNE zu erhöhen. Ein Großteil dieses Zuwachses ist allerdings für die Rückzahlung der Kredite des Europäischen Aufbauplans Next Generation EU (NGEU) vorgesehen, die den Mitgliedstaaten zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie zur Verfügung gestellt wurden.

Umstritten ist nicht nur die vorgesehene Erhöhung des Haushalts, sondern auch die geplante Umstrukturierung von Programmen im Rahmen „nationaler und regionaler Partnerschaftspläne“. Letztere würde die Macht der Kommission zulasten anderer Institutionen – darunter des Europäischen Parlaments – stärken. Der Kommissionsvorschlag legt zudem einen Schwerpunkt auf eine leistungsorientierte Haushaltsführung, um sicherzustellen, dass Gelder nicht einfach nur ausgezahlt werden, sondern an konkrete Ergebnisse und politische Prioritäten geknüpft sind, z. B. Klima, Biodiversität und Geschlecht, die im gesamten EU-Haushalt konsequent umgesetzt werden sollen. Eng damit verbunden ist die Betonung von Investitionen in europäische öffentliche Güter. Jedoch definiere die Kommission nicht, was ein „öffentliches Gut“ sei, erklärte Prof. Begg, und lasse damit „einen Elefanten im Raum“ stehen. Ebenso ungeklärt sei die Frage, ob eine EU-Finanzierung auch Ausgaben auf nationaler Ebene für öffentliche Güter der EU oder sogar die Finanzierung nationaler öffentlicher Güter durch die EU umfasst.

Vor diesem Hintergrund wies Prof. Begg auf ein Trilemma hin, dem der neue Haushalt gegenübersteht – insbesondere im Kontext der aktuellen Debatten über Verteidigungsausgaben und der zunehmend angespannten nationalen Haushaltslagen: Nettozahler müssen besänftigt, bestehende Finanzierungsströme erhalten und neue Ausgabenwünsche erfüllt werden. Erschwert wird die Lage dadurch, dass grenzüberschreitende Stabilisierungsmaßnahmen politisch weiterhin kaum durchsetzbar sind, da der Widerstand gegen eine Transferunion anhält. Laut Prof. Begg prägt das Narrativ „juste retour“ – in anderen Worten: „Wir wollen unser Geld zurück“ – das Denken politischer Entscheidungsträger, für das die Durchsetzung des Britenrabatts durch Margaret Thatcher beispielhaft stehe. Diese Logik, so Prof. Begg, erschwere es erheblich, zu einer echten Reform zu gelangen.

Um handlungsfähig zu bleiben, hat die EU in Krisenzeiten auf außerbudgetäre Mechanismen zurückgegriffen, etwa Next Generation EU, die Ukraine-Fazilität oder die Verteidigungsinitiative „Sicherheitsmaßnahmen für Europa“ (SAFE). Zwar ermöglichen diese eine rasche und umfangreiche Finanzierung von EU-Politiken, widersprechen jedoch Haushaltsgrundsätzen wie Einheit und Universalität des Haushalts und schaffen künftige Rückzahlungsverpflichtungen, die spätere Haushalte belasten. Zudem schränken sie die Kontrolle durch das Europäische Parlament und den Europäischen Rechnungshof ein, da die Prüfungsverantwortung größtenteils bei den Mitgliedstaaten liegt. Weitere Defizite sind, dass die eingesetzten Mittel nicht immer den tatsächlichen Projektkosten entsprechen und Maßnahmen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität – dem Kernstück von NGEU – häufig auf Input- und Output-Kennzahlen beschränkt und zu wenig auf Ergebnisse ausgerichtet sind. Die Kohäsionspolitik funktioniere in dieser Hinsicht besser, ein Bereich, in dem die EU „liefere“, urteilte Prof. Begg.

Um die EU-Finanzen zu stärken, betonte der LSE-Ökonom die Notwendigkeit, jene Bereiche klarer zu bestimmen, in denen die Zuständigkeit der EU kosteneffizienter ist, insbesondere bei der Bereitstellung europäischer öffentlicher Güter. Ebenso müsse das politisch heikle Thema des Finanzausgleichs – ein grundlegendes Prinzip öffentlicher Finanzen – wieder auf die Agenda. In diesem Zusammenhang kritisierte Begg die Dominanz der nationalen Beiträge im Einnahmesystem, die die juste retour-Mentalität verstärke. Als Alternative schlug er einen stärkeren Fokus auf mit politischen Zielen verknüpfte Eigenmittel vor sowie eine Konsolidierung der EU-Schulden und gegebenenfalls die Einrichtung einer Schuldenagentur.

Prof. Begg ging sogar noch weiter und warf die Frage auf, ob es nicht an der Zeit sei, ein eigenständiges stabilisierendes Fiskalinstrument auf EU-Ebene zu schaffen. Dieses könne sich gerade in Krisenzeiten als nützlich erweisen, da die üblichen Entscheidungsprozesse häufig zu langsam oder sogar unzureichend seien. Die politische Steuerung könne auch durch vereinfachte und standardisierte Überwachungsmechanismen gestärkt werden. Darüber hinaus ließe sich das Legitimitätsproblem außerbudgetärer Mechanismen lösen, wenn grundsätzlich das ordentliche Gesetzgebungsverfahren angewendet würde – außer in ausdrücklich begründeten Ausnahmefällen. Hierfür wäre eine Änderung der Haushaltsordnung erforderlich, die festlegt, wann und warum von diesem Verfahren abgewichen wird.

Abschließend plädierte Prof. Begg dafür, den EU-Fiskalrahmen grundlegend zu überdenken. 37 Jahre nach der letzten substanziellen Reform des EU-Haushalts sei „eine Generalüberholung überfällig“.

 

September 2025