Am 5. Mai fand der zweite von sechs Vorträgen in der Reihe „Zukunftsfragen des Steuerrechts“ statt. Professor Dr. Daniela Hohenwarter-Mayr stellte österreichische und deutsche Gruppenbesteuerungsregelungen gegenüber und überprüfte die Vorschläge der Europäischen Union auf Praxistauglichkeit.
Die Vortragsreihe „Zukunftsfragen des Steuerrechts“ bietet jüngeren Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern auf dem Gebiet des Steuerrechts Gelegenheit, von ihnen für wichtig empfundene Themen zu präsentieren und mögliche Entwicklungslinien zu diskutieren.
An diesem Abend rückte Professor Dr. Daniela Hohenwarter-Mayr die Zukunft der grenzüberschreitenden Gruppenbesteuerung in Europa in den Fokus. Hohenwarter-Mayr hat eine Professur für Finanzrecht mit Schwerpunkt Internationales Unternehmenssteuerrecht an der Universität Wien inne. Dort ist sie seit 2024 Vorständin des Instituts für Recht der Wirtschaft und leitet den Lehrgang „Steuerrecht und Rechnungswesen“.
Ausgehend von den Kernelementen der Gruppenbesteuerungsregelungen in Deutschland und Europa, die Hohenwarter-Mayr unter anderem in der Überwindung des Subjektsteuerprinzips im Sinne einer rechtsformorientierten Individualbesteuerung sieht, identifizierte sie primärrechtliche Schranken betreffend den Gruppenaufbau und die territoriale Reichweite der Ergebnisverrechnung.
Die gemeinsame Besteuerung rechtlich selbstständiger Gesellschaften in einem Konzern ist ein „Dauerbrenner“, so Hohenwarter-Mayr zu Beginn ihres Vortrages. Sie beschäftige Judikative, Exekutive und Steuerpflichtige seit Einführung der Organschaft Ende des 20. Jahrhunderts.
Und auch befeuert durch die aktuell turbulente Welt- und Wirtschaftslage entflammt erneut eine Diskussion um die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung. Die globale Instabilität zwingt Europa zu Einigkeit und Zusammenhalt – das gilt auch für den Binnenmarkt. Beste Voraussetzungen, dass sich alle 27 Mitgliedstaaten auf eine Reform einigen?
Nationale Reformen sollen zunächst in Deutschland – teilweise nach dem Vorbild Österreichs – die grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung ermöglichen, während gleichzeig supranationale Neuerungen, entsprechend der vorgeschlagenen EU-Richtlinie zu „BEFIT“, gesamteuropäische Vereinfachung bringen soll.
Gruppenbesteuerung in Deutschland – Mehr als ein „Face-Lift“ für die Organschaft?
Mit einem vielsagenden Schmunzeln merkte Hohenwarter-Mayr an, die deutsche Organschaft sei in die Jahre gekommen und benötige eine gewisse Generalüberholung. Ein kleines „Face-Lift“ werde dabei wohl kaum genügen. Der Vorschlag zur Reformierung der Organschaft im Abschlussbericht der 2023 von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission zur Vereinfachung der Unternehmenssteuern unter Leitung von Professor Wolfgang Schön, sei überzeugend, überraschend sei – aus österreichischer Sicht – jedoch, dass eine grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung abgelehnt werde, ebenso die Berücksichtigung von Auslandsverlusten ausländischer Tochtergesellschaften. Das Beispiel Österreich zeige demgegenüber, dass die daraus resultierende Komplexität beherrschbar wäre. Mit Blick darauf, die inländische Praxis zu flexibilisieren, war sie sich mit dem Gastgeber Wolfgang Schön einig: Es ist sinnvoller, in der Praxis zunächst den ersten Schritt zu gehen als bereits in der Theorie am zweiten Schritt zu scheitern.
„Bei der grenzüberschreitenden Gruppenbesteuerung stoßen wir an die Grenze der negativen Integration. Die Grundfreiheiten können Vieles, aber nicht harmonisieren.“ betonte Hohenwarter-Mayr an diesem Abend. An dieser Stelle bedarf es einer gesamteuropäischen Lösung.
EU-Richtlinie BEFIT auf dem Prüfstand – Nur eine Lösung auf Zeit?
Hohenwarter-Mayr stellt fest, dass die Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die grenzüberschreitende Gruppenbesteuerung starke Zurückhaltung zeigen. Diametral dazu steht die EU mit ihrem 28. Rahmenprogramm, das auch das Steuerrecht erfassen soll.
Die vorgeschlagene EU-Richtlinie BEFIT bringe viel Eigenes, sei aber nicht in allen Einzelheiten schlüssig. Insgesamt sei der Vorschlag eine „nicht überzeugende Melange“, unter anderem aus der Mindestbesteuerungsrichtlinie, den alten G(K)KB-Vorschlägen und Einflüssen der Mitgliedstaaten. Die Richtlinie in der vorgeschlagenen Form stelle, laut Hohenwarter-Mayr, keine Vereinfachung dar. Aus ihrer Sicht bedürfe es eines schrittweisen Ansatzes: Erstens einer stimmigen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage und zweitens einer transparenten Verlustverrechnung. Im Hinblick auf die Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage gebe es die Möglichkeit einer Anknüpfung an die Mindestbesteuerungsrichtlinie oder eine eigenständige Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage, die sich an der Bilanzrichtlinie orientiert.
Problematisch sieht Professor Hohenwarter-Mayr darüber hinaus die von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Begrenzung der Geltungsdauer bis zum Jahr 2035 mit anschließender Evaluierung. Der vorgesehene Gewinnaufteilungsmechanismus, der nur eine Übergangslösung darstelle, bereite ihr Unbehagen. Sie wirft die Frage auf: Was passiert, wenn die Einigung auf eine endgültige Allokationsformel scheitert? Ein Provisorium würde zur Dauerregel, die Änderungen im steuerlichen Ergebnis der Gruppeneinheiten nicht sinnvoll berücksichtigen kann.
Zu(m) Ende gedacht: Kompatibel? Konform? Kompromiss?
Im Anschluss an den Vortrag wurde die Frage diskutiert, in welchem Umfang der BEFIT-Vorschlag einen nationalen Spielraum für politische Lenkungswirkung per Steuerrecht weiterhin zulässt. Auch wurde erörtert, ob die Richtlinie in ihrer derzeitigen Form zivilrechtskonform und mit der in Art. 16 der Grundrechte-Charta der EU festgeschriebenen Unternehmerfreiheit vereinbar sei. Einzelaspekte aller Reformbemühungen gelte es in der Tat, so Professor Hohenwarter-Mayr, noch „zu Ende zu denken“. In Summe sei die Reform ein Kompromiss – es bestehen weiterhin zwei Verrechnungssysteme innerhalb und außerhalb des von BEFIT erfassten Territoriums.
Hohenwarter-Mayr rundete den Abend mit dem Statement ab: „Stehen bleiben ist aber auch keine Option!“ Ein klarer Auftrag an die Politik, die grenzüberschreitende Unternehmensbesteuerung national wie europäisch laufend weiterzuentwickeln und schließlich auf stabile Beine zu stellen.
Mai 2025