Unsere wissenschaftliche Referentin Dr. Raisa Sherif untersucht in einer Feldstudie in Indien die Auswirkungen umweltfreundlicher Verhaltensweisen und zeigt, dass die positiven Auswirkungen von gezielten, nachhaltigen Interventionen noch unterschätzt werden.
Vermüllte Meere, Hitze, Starkregen und Überschwemmungen: Die negativen Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung sind weltweit sichtbar und spürbar. Zahlreiche Regierungen engagieren sich inzwischen nicht nur für eine Reduzierung des CO₂-Ausstoßes, sondern versuchen mit gezielten Maßnahmen auch der Umweltverschmutzung, die unsere Ökosysteme gefährdet, Einhalt zu gebieten. Eine Möglichkeit liegt in der Förderung umweltfreundlicher Verhaltensweisen durch neue politische Richtlinien und Verordnungen. So verbietet beispielsweise die Europäische Union bestimmte Einwegkunststoffe, um die Abfallmenge zu verringern und die Umwelt zu schützen.
Dass ein solches Verbot die Verwendung von Einwegplastik langfristig verringern wird, ist offensichtlich. Unklar und weitgehend unerforscht sind jedoch die weiteren Auswirkungen solcher Maßnahmen auf das individuelle Verhalten der Bevölkerung. Hier setzt Dr. Raisa Sherif mit ihrer Forschungsarbeit “Are Pro-environment Behaviours Substitutes or Complements? Evidence from the Field” an und untersucht, ob Menschen, die solchen Verordnungen Folge leisten, das Gefühl haben, sich bereits ausreichend für den Umweltschutz engagiert zu haben oder ob durch die Etablierung solcher nachhaltigen Verhaltensweisen positive Rückkopplungseffekte entstehen, die die Betroffenen motivieren, sich auch in anderen Lebensbereichen umweltfreundlich zu verhalten.
Ein Feldexperiment in Indien
Um ihrer Forschungsfrage auf den Grund zu gehen und herauszufinden, wie sich junge Menschen in einem Umfeld, in dem umweltfreundliche Maßnahmen etabliert und gezielt gefördert werden, verhalten, führt Raisa Sherif ein Feldexperiment in ihrer Heimat Indien durch. In Zusammenarbeit mit der Green Kerala Mission der Regierung des indischen Bundesstaates Kerala richtet sie für mehr als 3.750 Schüler:innen in 120 Klassenzimmern Recycling-Zentren für Einwegplastiktüten ein. Anschließend führt sie zwei Interventionen durch, um die Recyclingraten zu erhöhen. Die erste ist eine Informationskampagne, welche die Schüler:innen über die Umweltfolgen einer unsachgemäßen Entsorgung von Einwegplastik sowie die Bedeutung des Recyclings aufgeklärt. Bei der zweiten Maßnahme werden diese Informationen mit Anreizen für das Recycling kombiniert, d.h. wer sich aktiv beteiligt, erhält von der Bezirksverwaltung Zertifikate als Anerkennung für seinen herausragenden Einsatz. Außerdem werden die Teilnehmer:innen zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Tee mit einem Filmstar“ eingeladen, bei der diese Zertifikate überreicht werden.
Die Studie zeigt, dass das Ausgangsinteresse für Recycling bei allen Schüler:innen sehr gering ist und dass die Informationsmaßnahme ihr Recyclingverhalten nicht wesentlich verändert. Die Anreizbehandlung führt jedoch zu einem erheblichen Anstieg der Recycling-Bemühungen der Teilnehmer:innen.
Die Messung weiterer Auswirkungen und möglicher Rückkopplungseffekte der beiden Interventionen präsentiert sich als gewaltige Herausforderung, da es fast unmöglich ist, alle umweltfreundlichen Verhaltensweisen zu beobachten, die Schüler:innen anschließend an den Tag legen. Auch Umfragen eignen sich nur bedingt, um belastbare Angaben zu erhalten. Die Erfahrung zeigt, dass die Schüler:innen oftmals zu viele Angaben machen, weil sie umweltfreundlicher erscheinen wollen, als sie es tatsächlich sind.
Nebeneffekte unter der Lupe
Um die Auswirkungen der beiden Interventionen auf die Teilnehmenden zu verifizieren, werden daher Labore eingesetzt. Raisa Sherif sammelt hier – vor und nach den Interventionen – Daten über die Zahlungsbereitschaft (WTP) der Student:innen für insgesamt sieben verschiedene Umweltaktivitäten. Zu diesen Aktivitäten gehören beispielsweise Papierrecycling und das Pflanzen von Bäumen. Die Beiträge der Student:innen für die gewählte Aktivität werden von ihrem Versuchsgewinn abgezogen. Positive Nebeneffekte werden festgestellt, wenn die Student:innen bereit sind, nach der ersten oder zweiten Intervention mehr für Umweltaktivitäten zu zahlen als davor.
Die in den Laboren erhobenen Daten zeigen deutlich, dass sich die Anreizbehandlung, also die zweite Intervention, positiv auf das Verhalten der Student:innen ausgewirkt hat: Die Anreizbehandlung, die darauf abzielte, das Recycling von Einwegplastiktüten zu erhöhen, hat nicht nur das Recyclingverhalten verändert, sondern auch die Zahlungsbereitschaft der Student:innen für andere Umweltaktivitäten erhöht, was die Komplementarität zwischen ihnen offenbart. Interessanterweise beschränken sich die Nebeneffekte auch nicht nur auf die Student:innen, die ihre Recycling-Bemühungen verstärkten. Auch bei Schüler:innen, die ihr Recyclingverhalten nicht änderten, aber durch die Recycling-Bemühungen ihrer Mitschüler:innen mit dem Thema konfrontiert wurden, zeigten sich positive Nebeneffekte. Das bedeutet, dass die Intervention positive Nebeneffekte auf nicht-zielgerichtete, umweltfreundliche Verhaltensweisen hatte – auch wenn sie sich nicht direkt auf das Zielverhalten auswirkte.
Nachhaltige Verhaltensweisen gezielt fördern
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die positiven Auswirkungen von gezielten, nachhaltigen Interventionen noch unterschätzt werden. Übersetzt man Sherifs Forschungsergebnisse in den Alltag, ist es denkbar, dass Menschen, die aufgefordert werden, auf Einwegplastik zu verzichten, in der Konsequenz auch in anderen Bereichen umweltfreundlicher handeln und sich beispielsweise für einen verpackungsärmeren Einkauf entscheiden. Weiterhin legen Sherifs Untersuchungsergebnisse nahe, dass mit sorgfältig konzipierten politischen Maßnahmen nachhaltige Verhaltensweisen in unserer Gesellschaft gezielt etabliert werden können.
Foto: © PK3 field team
Oktober 2023